Interview mit Wiebke Acton und Christian Leonard vom Globe Berlin
Das Londoner Globe Theatre brannte im 17. Jahrhundert ab, war vorher aber ein beliebter Treffpunkt für Adel und Volk, um Shakespeares Stücke dicht an den Darstellern zu erleben. Das Globe London wurde originalgetreu wiederaufgebaut und hat sogar in Rom und Tokio Nachahmer gefunden – jetzt bekommt auch Berlin ein „wooden O“. 2020 wird das Globe Berlin in der deutschen Hauptstadt eröffnen. Am Standort in Berlin-Charlottenburg befindet sich derzeit die Freiluft-Prolog-Bühne. Hier, und auch im Globe Berlin, werden die Zuschauer neben deutschen Vorführungen auch Shakespeare-Klassiker in englischer Sprache erleben können.
Christian Leonard bringt das Globe Berlin in die Hauptstadt. Als künstlerischer Leiter, Regisseur und Übersetzer hat er die Vision, das Globe Berlin nicht nur als Bühne, sondern auch als Begegnungsstätte zu verwirklichen, in der tagsüber für Schüler, abends für Erwachsene Shakespeare gespielt werden soll. Zusätzlich kann das Globe angemietet werden, z. B. für Workshops und Integrations- und Friedensarbeit mit künstlerischen Mitteln.
Wiebke Acton ist Schauspielerin und Übersetzerin, spielt an der Prolog-Bühne aktuell Lady Capulet in „Romeo und Julia“ und lebt derzeit in England.
Herr Leonard, vor 400 Jahren im hölzernen Londoner Globe Theatre wurde Begeisterung des Publikums mit Stampfen auf dem Boden der Galerien ausgedrückt; der Adel saß, das einfache Volk stand. Wie, meinen Sie, wird das Globe Berlin ankommen – wird es vor den Stücken eine Einführung für die Zuschauer geben und bleibt die originale Sitzordnung mit Stehplätzen beibehalten?
Das Globe Berlin kann die Theaterszene Berlins um das einzige ihr fehlende Modell bereichern, hier ist das Publikum offen, reagiert unkompliziert und lässt sich für neue Kulturschauplätze begeistern, daher sind wir überzeugt, dass unser Theater gut ankommt.
Wir wünschen uns Austausch mit unseren Zuschauern, ob jung oder alt und veranstalten sowohl Einführungen vorher als auch Publikumsgespräche danach. Erfreulicherweise besuchen inzwischen verstärkt ganze Schulklassen unsere Aufführungen im englischen Original und sind begeistert, wie lebensnah, humorvoll und unterhaltsam der beim Lesen meist trocken wirkende Schulstoff sein kann – zumal Romeo & Julia das Liebes-Drama
ist, das alle Jugendlichen brennend interessiert, weil es um die erste Liebe geht.
Bei unseren, im Gegensatz zum großen Globe in London mit rund 1.500 nur 600 Zuschauerplätzen sind rund 150 Stehplätze für „Groundlings“ vorgesehen, also eigentlich die besten Plätze direkt vorne an der Bühnen-Rampe, wo man wie bei einem Konzert oder einer Sportveranstaltung ganz nah am Bühnengeschehen sein kann – für nur 5,00 € (!).
Frau Acton, wo sehen Sie den Reiz einer Performance als Schauspielerin auf der Globe Stage? Haben Sie durch Ihre langjährige schauspielerische Erfahrung in Großbritannien Unterschiede zwischen dem deutschen und dem britischen Publikum feststellen können?
Ich habe schon in verschiedenen Shakespeare-Stücken gespielt, auch in England, doch noch nie auf einer Globe-Bühne. Das ist jetzt eine spannende Erfahrung, denn Shakespeare hat ja speziell für das Globe Theater geschrieben. Er hatte beim Entwickeln seiner Stücke, der Handlung, der Charaktere, immer diese besondere Theaterform im Kopf. Von daher fühlt es sich für mich jetzt so an, als ob wir mit Romeo & Julia an den Ursprung zurückgehen, also Shakespeare dahin bringen, wo er hingehört.
Die Bühnenform hat natürlich Auswirkungen auf die Spielweise. Das Publikum sitzt nicht nur wie bei einer Guckkastenbühne direkt vor einem, sondern hat Einblick in das Geschehen von drei Seiten. Beim Spielen muss man sich dessen immer bewusst sein. Die Zuschauer ganz rechts außen sollen auch mitbekommen, was vorne links gespielt wird. Das hat zur Folge, dass man als Spieler selten lange an einer Stelle stehen bleibt, sondern sich ständig nach allen Seiten hin öffnet. Statische Szenen funktionieren da nicht. Man muss in Bewegung bleiben, immer nach 270º senden. So zu spielen, kann eine Herausforderung sein, hat aber auch einen großen Reiz.
„Einen großen Unterschied zwischen dem deutschen und britischen Publikum musste ich zum ersten Mal feststellen, als ich vor einigen Jahren in England mit dem Sommernachtstraum auf Tournee war. In fast jeder Vorstellung saßen mindestens eine Handvoll Leute mit dem Textbuch in der Hand da." – Wiebke Acton
Einen großen Unterschied zwischen dem deutschen und britischen Publikum musste ich zum ersten Mal feststellen, als ich vor einigen Jahren in England mit dem Sommernachtstraum auf Tournee war. In fast jeder Vorstellung saßen mindestens eine Handvoll Leute mit dem Textbuch in der Hand da. Teilweise haben sie gar nicht auf die Bühne geschaut, sondern von Anfang bis Ende nur die Nase ins Buch gesteckt und den Text mitgelesen. Ich habe auch immer wieder erlebt, dass Zuschauer während meiner Monologe meiner Zeilen mitgesprochen haben, sogar so laut, dass ich sie hören konnte.
Das war am Anfang sehr verwirrend und befremdlich. Texttreue ist auf der Insel ein großes Thema. Vielen Shakespeare-Fans ist es enorm wichtig, dass man den Originaltext wortgetreu wiedergibt. Es wird ganz genau darauf geachtet, dass man ja kein Wort vergisst. Für den Schauspieler kann das ein merkwürdiger Druck von außen sein.
Ich musste mich erst einmal daran gewöhnen. In dieser Strenge war mir das in Deutschland noch nicht wiederfahren. Natürlich ist die Situation in Deutschland eine andere. Da gibt es eben nicht nur den einen Originaltext, sondern etliche Übersetzungen und Adaptionen. Allein die Textfassung, mit der wir beim Globe Berlin arbeiten, die Übersetzung von Christian Leonard, wird sicher nicht vielen Menschen bekannt sein.
Zum 400. Todestag und zu Ehren von William Shakespeare hat der British Council 2016 ein weltweites Shakespeare Lives- Programm initiiert. Teil der Kampagne war Translating Shakespeare (LINK), ein fünftägiger Workshop in Köln, eine Zusammenarbeit des British Council mit dem Globe Theatre London, dem Norwich Writers Centre und der Theaterwissenschaftlichen Abteilung der Universität Köln, mit Künstlern, Schauspielern und Übersetzern aus UK, Rumänien, Polen und Deutschland. Ziel dieses ambitionierten, an der Methode der ‚consensus translation‘ orientierten Projektes war es, bekannte Zitate aus drei Shakespeare-Stücken aus dem Original in die andere Sprache zu übersetzen und als Highlight des letzten Tages aufzuführen und zu verfilmen.
Frau Acton / Herr Leonard, bei Translating Shakespeare wurden Auszüge aus Shakespeare-Stücken, in Ihrem Fall vom Englischen ins Deutsche, übersetzt und aufgeführt, auf der Prolog-Bühne spielen Sie aktuell Romeo und Julia auf Englisch. Hat der Workshop in Köln 2016 Ihre Herangehensweise bei Shakespeare-Übersetzungen geprägt und können Besucher im Globe Berlin ab 2020 eher textnahe Inszenierungen erwarten oder wird es auch Bezug zur heutigen Zeit, Gesellschaft und Politik geben?
Der Workshop „Translating Shakespeare“ war eine echte Überraschung und eine rundum positive Erfahrung, denn die Zusammenarbeit mit den deutschen KollegInnen erwies sich als
so inspirierend im Prozess und auch in den Ergebnissen so fruchtbar, dass wir beschlossen, ein ÜbersetzerInnen-Kollektiv zu gründen, das unter dem Namen ConTra (steht für Consensus Translation) gemeinsam Shakespeare übersetzt. Seitdem arbeiten wir regelmäßig an Henry V., treffen uns oder übersetzen per Skype-Konferenz.
Das ist zwar aufwändig und zeitintensiv, macht jedoch großen Spaß – und vielleicht finden wir ja einen Förderer oder eine Stiftung, die dieses außergewöhnliche Projekt unterstützt.
Herr Leonard, in einem Interview haben Sie einmal gesagt, Sie hätten für beinahe jede Situation das passende Shakespeare-Zitat parat. Wenn nach den Jahren der harten Arbeit und Anstrengung die Eröffnung des Globe Berlin mit der Premiere nächstes Jahr kurz bevorsteht, wie würden Sie den Weg dahin und Ihre Motivation in einem Zitat verpacken?
„Wer zweifelnd abwägt und entsagt,
weil er vor dem, was nie gescheh’n, verzagt,
erreicht das Größte nie.“
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Impossible be strange attempts to those
That weigh their pains in sense; and do suppose
What hath not, cannot be.
ALL'S WELL THAT ENDS WELL